Shirana Shahbazi (*1974)

Die durch die Stiftung Kunsthalle Bern angekaufte Arbeit von Shirana Shahbazi zeigt zwei Mädchen, aus flachem Winkel von unten fotografiert. Das ältere Kind, die Haare flatternd im Wind, steht aufrecht da und blickt die Betrachterin trotzig an. Das jüngere Kind dagegen wendet uns gedankenverloren den Rücken zu. Die Körnung der Fotografie, ihre saturierten Farben und der Stil der Mädchenkleider erschweren eine Datierung der Szene – wenn da nicht das kaum sichtbare iPhone in der Hand des älteren Mädchens wäre. Das Poster zu einem New-Wave-road-movie, das aber nicht unbedingt im Westen spielen muss und ganz bestimmt nicht aus den Sechzigerjahren stammt.

Tatsächlich sind auf dem Bild die Kinder der Künstlerin zu sehen. Sie posieren auf dem Dach des Familienautos während einer dreimonatigen Reise, welche die Familie – mit vielen Zwischenaufenthalten und Unterbrechungen – ab April 2014 von Zürich nach Teheran unternahm. Shahbazi kehrte mit unzähligen Ferienfotos zurück, Fotos von Familienmitgliedern, Freunden, Verwandten und Fremden, Landschaftsbildern, Architekturaufnahmen und so weiter. Diese mit einer simplen Kompaktkamera aufgenommenen Bilder sind zunächst nichts als persönliche Erinnerungsdokumente. 

Selbst wenn unter den hunderten von Fotos das eine oder das andere auftaucht, hinter dessen besonders gelungener Komposition man das ‚Auge’ der Künstlerin zu erkennen versucht ist, verweisen diese Bilder doch primär auf das spezifische Potenzial der Fotografie, perfekte Augenblicke einzufangen, die ganz nebenbei passieren. Schönheit, über die man zufällig stolpert: Ein Sonnenuntergang, ein Blick aufs Meer, eine Stadt bei Nacht. Merkwürdigkeiten, über die man zufällig stolpert: Die verwaiste Büste eines Politikers, die neben einem Spielzeugdelfin vom Jahrmarkt in einem Hinterhof liegt. Exotisches, über das man zufällig stolpert: Ein Strassenschild in der Wüste, das eine (für uns Westler) absurde Distanz von 885 Kilometer zur nächsten Destination anzeigt.

Nach ihrer Rückkehr in die Schweiz wählte Shirana Shahbazi sorgfältig eine kleine Zahl von Fotografien aus, die sie vergrösserte und lithographierte, wobei sie die Farbpalette auf jeweils zwei Farben pro Bild reduzierte. Ein sehr handwerklicher, nachgerade fetischistisch anmutender Prozess, der sich indes nahtlos in die jahrzehntelange Auseinandersetzung der Künstlerin mit den konkreten, materiellen Eigenschaften des Mediums Fotografie einfügt. Die gespenstische Qualität der aus diesem Vorgehen resultierenden Bilder relativiert den Eindruck der Intimität, den man ansonsten im Familienalbum anzutreffen erwartet. Er verleiht Shahbazis Fotografien eine traumartige, filmische, ja ikonische Qualität.

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