Ivan Grubanov nahm absichtlich einen subjektiven Standpunkt ein, der einen der auffälligsten Aspekte seiner Visitor-Serie hervorgebracht hat. Auch wenn dies nicht die ursprüngliche Absicht des Künstlers war, haben wir es hier mit einem eigentlichen archivistischen Unterfangen zu tun, das den Blick auf die Darstellung eines Bösewichts (Slobodan Milosevic) lenkt. Der Prozess gegen Adolf Eichmann in Israel im Jahre 1962 war der erste seiner Art, der zum Zweck der vollständigen Aufzeichnung von Anfang bis Ende auf Video festgehalten wurde.
Seither ist die juristische Zurschaustellung von Menschen, denen Verbrechen gegen die Menschlichkeit angelastet werden, zur Medientradition geworden, wenn nicht zum sensationalistischen Spektakel verkommen. In diesem Zusammenhang fragte sich der Filmemacher Eyal Sivan, weshalb wir wohl so fasziniert sind von Aufnahmen der Opfer, während die Verbrecher meistens Subjekt einer von ihnen selbst ausgedachten Fiktion bleiben. Im Bericht über seine Recherchearbeiten zum Film "The Specialist"hielt Sivan fest, dass WissenschaftlerInnen oder Geschichtsgelehrte sich nicht besonders für die stundenlangen Videos der israelischen Regierung vom Eichmann-Prozess interessiert haben, ja dass ein Grossteil des Materials infolge falscher Lagerung verloren ging. Die übrig gebliebenen Bilder – vorwiegend Zeugenaussagen von Opfern – gemahnen an einen Auswahl- und Eliminationsprozess, den man auch als "Filmschnitt" bezeichnen könnte, eine "Selbstzensur", die ganz absichtlich vor allem Erinnerungsstücke an die Opfer hervorgebracht hat, ein dem Jüdischen und Christlichen Sühnegedanken nicht unverwandtes Trauer-"Monument" in zwei Dimensionen.
Im Gegensatz dazu laufen wir Gefahr uns mit dem Übeltäter zu identifizieren, wenn wir unseren Blick auf ihn richten. Grubanov zeigt uns sein Subjekt, Milosevic, in einer ganzen, schier obsessiven Reihe von Skizzen. Der Künstler lässt sich auf die fiktionalisierte, quasi-mythische Darstellung ein, indem er den Verbrecher zum Unmenschen, zum Monster oder zur Karikatur macht. Er wagt es aber auch, sich selbst in seiner widerwilligen, zutiefst hin und her gerissenen Identifikation zu zeigen. Zwar mag es politisch inkorrekt sein, wenn wir uns dem Risiko aussetzen, den Verbrecher zu verstehen und ihm dadurch Gelegenheit geben, Erfahrungen so aufrührend darzustellen, dass wir uns gerade noch damit identifizieren können. Doch, wie Eyal Sivan dagegen hält, „sollten wir uns auf eben diese Vertrautheit mit ihm verlassen. Exakt in diesem engen Raum der Identifikation, des Verstehens und des Verzeihens haben wir die Wahl, über ihn zu urteilen."
In der Auswahl seiner Bilder achtet Grubanov nicht auf das Spektakuläre. In seinem Streben nach subjektiver Vollständigkeit gibt es keine Schnitte, keinen Ausschuss, obschon er den Prozess nicht ununterbrochen darstellen kann. Die Serie umfasst Darstellungen der Anordnung des Gerichtssaales, Notizen und Zitate des Strafverfolgers auf englisch, gelegentliche Kommentare auf serbisch, grobe bis detaillierte Skizzen von Richtern und Anwälten sowie fragmenthafte Versuche, Milosevic zu porträtieren. Damit dokumentiert Grubanov seine "eigenen wechselnden Assoziationen mit und Dissoziationen von dieser berüchtigten Gestalt". Allerdings scheint mir zentral, dass Grubanov nicht eine journalistische, sondern eine künstlerische Haltung einnimmt. Seine persönliche Dokumentation ist von Mehrdeutigkeit durchdrungen; sie ist absichtlich nicht wahrheits- oder urteilslastig. Gleichzeitig mit der Geschichtlichkeit und allen geschichtlichen Begleiterscheinungen beruht die Ambivalenz des Künstlers in Bezug auf sein Subjekt auf seiner persönlichen Geschichte. Philippe Pirotte