Carla Arocha, ausgebildet zuerst als Biologin und dann als Künstlerin in Chicago, wurde sichtlich beeinflusst durch die abstrakt-konstruktivistische Tradition – welche sowohl in Chicago als auch in Venezuela seit der Nachkriegszeit vorherrscht. Obwohl sich die Einflüsse von modernistischen Bewegungen wie dem russischen Konstruktivismus oder dem Bauhaus in Venezuela und Chicago sehr unterschiedlich ausgeprägt haben, bildet Arochas Werk eine Fallstudie als kritische Beurteilung zu beiden Kontexten. Ihr Interesse gilt nicht ausschliesslich der Kunst, sondern der visuellen Kultur als Ganzem.
Seit ihren Anfängen spielt die Künstlerin in einer sehr direkten und kritischen Weise auf die Möglichkeiten von Kontinuität und Gültigkeit der modernistischen Erfahrung an, im Speziellen bezogen auf die Tradition der Abstraktion. Anstatt den Weg der Abstraktion so zu beschreiten, wie die Kunstgeschichte ihn sanktioniert hat, zeichnet Arochas Arbeit die Formen auf, wie diese Tradition in den breitesten Kulturkontext integriert wurde. Durchsetzt mit charakteristischen Elementen aus Mustern, Stoffen, Mode und der modernen Umgangssprache bewegt sich ihre Arbeit auf die Erkenntnisse von optischen Illusionen und biologischen Reaktionen zu, um dann jedoch zurückzukehren und die Kunstsphäre, insbesondere den historischen Raum der Malerei, in welchen sie hineinversetzt wurde, zu untergraben. Hem (2006), was «Rand» oder «Saum» bedeutet, ist ein Vorhang, der quer durch einen Raum hängt und aus Spiegelplexiglas- und Überwachungsplexiglasteilen in Form von umgedrehten «V» besteht. In einem zufälligen Spiel erlauben diese Stücke Momente teilweise des Durchblicks und der Spiegelung und beschwöreneinen Impuls von Begehren herauf.
Die betrachtende Person wird unwillkürlich zu einem narzisstischen Subjekt gemacht, bezahlt dies jedoch mit der Verstümmelung seiner oder ihrer Spiegelung. Carla Arochas Werke infizieren unseren Verstand, indem sie uns zu uns selber zurückführen durch eine Anordnung des Zwischenfalls. Ihr Werk erhält in der Malerei seine erkennbarste Form, verstreut sich jedoch auch im Raum, materialisiert sich in der Form von Zeichnungen, Installationen und ortsspezifischen Vorschlägen mit sorgfältig geplanter Präsentation.
In der Arbeit von Carla Arocha kann der Raum des Betrachters auf mehrere Arten verstanden werden. Die Beziehungen zwischen Reflexion, Transparenz und Undurchsichtigkeit bilden hierbei drei der Möglichkeiten, einen Blick zu konstruieren, welche Carla Arocha in vielfältigenAnnäherungen erprobt. Von Abweisung zu Gier, von Neugier zu Gleichgültigkeit oder von Intoleranz zu Korrektheit bildet ihre Arbeit eine präziseStudie über die Macht des Blicks. Ph. P