Tom Holmes (*1975, USA)

Inhalt und Form. Zwei alte Rivalen, die in den Arbeiten von Tom Holmes gleichsam ein neues Schlachtfeld gefunden haben, auf dem sie ihre fruchtbaren Gefechte austragen.

Zunächst zum Inhalt. Alles, was Tom Holmes schafft, ist mit der Tradition des Bestattungskults assoziiert – Trauerflor, Grabsteine, Reliquien, Totenmasken etc. sind wiederkehrende Motive. Seine Werke sind aus nahezu überall verfügbaren Materialien gefertigt, aus Verpackungen von Frühstücksflocken und generischen Bausubstanzen wie Zementblöcken. Diese Gegenstände (oder, in einigen Fällen, ihre mechanischen oder handgearbeiteten Reproduktionen) exemplifizieren die erwünschte nivellierende Qualität der amerikanischen Konsumkultur beziehungsweise deren Versprechen, dass jeder status- und ortsunabhängig den gleichen Artikel direkt vom Wal-Mart-Regal käuflich erwerben kann. Nur unzureichend verwehrt diese egalitäre Fassade den Blick auf eine von Klassenkampf und Ungleichheiten aller Art tief gezeichnete Gesellschaft. Tom Holmes macht sich die Haarrisse in diesem Idealnarrativ zu Nutze. In seinen Händen erzählen gewöhnliche Gegenstände und deren Machart eine ganz andere, um die ruralen und ökonomisch abgehängten Südstaaten gravitierende Geschichte. Eine Grabstätte aus Mountain-Dew-Kartons und billigen Plastikketten. Ein Grabstein aus bemalten Betonquadern. Ein schwarzer, zum Leichenwagen umfunktionierter Pickup-Truck aus den Achtzigerjahren, frisiert und renntauglich. Die gesellschaftliche und politische Dimension dieser Arbeiten wird nicht diskursiv statuiert, sondern durch ihre Materialität zum Ausdruck gebracht. Es sind halb ephemere, sozusagen volkstümliche DIY-Mahnmale, die man im Vorbeifahren am Strassenrand erspähen könnte, oder hinter irgendeiner Scheune, weit, weit weg von der nächstgelegenen Stadt.

Zugleich aber beschreibt sich Tom Holmes als ‚abstrakten’ Künstler. Diese Aussage sollte man wörtlich nehmen. Die soeben skizzierten kulturellen, politischen, ja existenziellen Aspekte seiner Werke bilden nur den Ausgangspunkt, die Basis, für eine Praxis, die einer exzentrischen post-minimalistischen Tradition entspringt (man denke an die Skulpturen von Richard Tuttle, Eva Hess und anderen aus den Sechziger- und Siebzigerjahren). Diese Praxis misst sich an den aktuellsten Entwicklungen im abstrakten amerikanischen Kunstschaffen. Tom Holmes sucht nicht bewusst nach adäquaten abstrakten Formen für spezifische Inhalte; vielmehr strebt er immer danach, diese Inhalte im Wortsinn auf eine Ebene der reinen Formhaftigkeit, der puren Materialität zu ‚abstrahieren’ (abstrahere = ‚abziehen, entfernen’). Als einschlägige Beispiele mögen die beiden wichtigen Werke dienen, welche die Stiftung Kunsthalle Bern erwarb. Untitled Shroud (Orange Flavor), 2010, ist eine Skulptur aus Fleece, Garn, Sperrholz, Abflussreinigern, Nylonnetzen, silbernem Lamé, einem Nerf-Ball, Draht und Superman-Unterwäsche. Die tragende Struktur ist eine vom Künstler gefundene Sperrholzkonstruktion, die offenbar als improvisierte Werbesäule diente; ein Objekt also, dessen ursprüngliche Funktion für alltägliche Bedürfnisse subvertiert worden war und das den bei Trauerprozessionen verwendeten Kreuzen ähnelt. Der hellorangene Nerf-Ball und die Superman-Unterwäsche sind auf ein bestimmtes Zielpublikum, namentlich Knaben, zugeschnittene Konsumobjekte – grelle Embleme einer emergenten Maskulinität. Aber Untitled Shroud (Orange Flavor) ist in erster Linie als Werk entworfen, das auf einer formalen Ebene erfasst werden muss, als präzis komponierte und zugleich behelfsmässige Assemblage von Texturen, Materialien und Farben. Der Nerf-Ball wurde aufgeschnitten und flachgedrückt und ist nur mehr als undefinierbare weiche orange Form wahrnehmbar, während die blaue Superman-Unterwäsche hinter dem Nerf-Ball und einem roten Plastiknetz kaum sichtbar ist. Die Farben kollidieren und kolludieren und scheinen eine Konversation mit einem gleich daneben angebrachten grünen Pompon aufzunehmen. Der ‚Inhalt’ der Arbeit – als Beitrag zur Reflexion über unser aller unausweichliches Ende und die durch Konsumgüter festgefügten Gender-Rollen – kann noch eruiert werden, aber nur als Nachhall, gleichsam subliminal.

Tom Holmes selbst hat oft die zentrale Rolle erwähnt, die solchen an Kinder vermarkteten Gegenständen in seinem Schaffen zukommt; sie fungieren bei ihm als Metaphern für eine urtümliche Todesfurcht. Das zweite von der Stiftung angekaufte Stück, Untitled Arrangement, 2012, ist ein grossformatiger Tintenstrahldruck auf einer Frühstücksflockenschachtel. Auf diese Unterlage hat der Künstler ein expressionistisches Blumenarrangement in Form eines Trauerflors gedruckt. Die Cerealiensorte, „Franken Berry“, wird von einer comicartigen, pinkfarbenen Version von Frankensteins Monster repräsentiert, also einer aus Leichenteilen zusammengenähten Kreatur. Der lakonische Humor des Bilds ist wörtlich zu nehmen. „Wie kann man diesen Druck als ‚abstrakt’ bezeichnen?“, fragte ein Ausstellungsbesucher während einer Führung. „Machen Sie’s einfach wie ich“, antwortete Tom Holmes mit dem Duktus eines wahrhaft abstrakten Künstlers: „Schielen Sie ein bisschen“. 

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